Freitag, 6. Juni 2008

EZB beugt sich Inflationsdruck

von Mark Schrörs und Doris Grass (Frankfurt)

Die Europäische Zentralbank hat völlig unerwartet eine baldige Zinserhöhung in Aussicht gestellt und damit den jüngsten Preissteigerungen Rechnung getragen. Der Dax drehte nach den Äußerungen ins Minus.

Bei der nächsten Sitzung Anfang Juli "könnten wir entscheiden, den Zins ein wenig anzuheben", sagte Notenbankchef Jean-Claude Trichet. Bis dahin bleibt der Leitsatz bei 4,0 Prozent, entschied der EZB-Rat am Donnerstag. Einige Mitglieder hatten schon diesmal eine Anhebung befürwortet.

Die EZB hatte den Leitzins seit einem Jahr nicht mehr angetastet. Mit ihrem Kurswechsel reagiert die Notenbank auf den steigenden Inflationsdruck im Euro-Raum - im Mai lag die Teuerung bei 3,6 Prozent. "Wir sehen Preisanstiege auf breiter Front, und die Geldpolitik muss dem begegnen. Die Märkte sollten sich darauf vorbereiten", sagte Bundesbankchef Axel Weber in der ARD. Er dürfte zu jenen Ratsmitgliedern zählen, die sich für eine sofortige Zinserhöhung aussprachen.

Für den Meinungswandel der EZB gab es bis zuletzt keinerlei Signale. In den vergangenen Monaten deutete die Notenbank stets an, vorerst an den 4,0 Prozent festzuhalten. Zwar verharrt die Inflation seit November über 3,0 Prozent und damit weit oberhalb der EZB-Zielmarke von knapp 2,0 Prozent. Zugleich aber hält die Finanzkrise an, und der Euro-Zone droht ein deutlicher Abschwung.

Nun scheint die EZB bereit, einen schärferen Abschwung durch höhere Zinsen zu akzeptieren, um die Inflationserwartungen unter Kontrolle zu halten. "Wir haben klar signalisiert, dass Preisstabilität für uns Vorrang hat und wir den Worten Taten folgen lassen werden", sagte Weber: "Das ist unser Signal des Tages."

In "erhöhter Alarmbereitschaft"

Der Euro schoss nach Trichets Aussagen in die Höhe. Zeitweise lag die Gemeinschaftswährung bei 1,5570 $ und damit mehr als 2 US-Cent über dem Tagestief. Staatsanleihen gingen in den Keller. So verlor der Bund-Future in der Spitze 86 Stellen auf 111,19 Punkte. Die meisten europäischen Börsen gaben deutlich nach, der Dax drehte nach anfänglichen Gewinnen ins Minus und schloss bei 6941,83 Punkten.

Trichet betonte, dass eine Zinsanhebung am 3. Juli zwar möglich, aber "nicht sicher" sei. Eine Reihe von Banken erhöhte nach den Äußerungen des Franzosen die Zinsprognose bereits auf 4,25 Prozent. Die Anhebung erscheine nun "sehr wahrscheinlich", sagte Ken Wattret, Europa-Chefvolkswirt bei BNP Paribas.

Für eine Erhöhung sprechen auch die neuen, vierteljährlichen Projektionen der EZB-Volkswirte. Für dieses Jahr hoben sie ihre Inflationsprognose um 0,5 Punkte auf 3,4 Prozent an. Seit Einführung des Euro 1999 lag die Teuerung im Jahresdurchschnitt noch nie über drei Prozent.

Angesichts des geldpolitisch relevanten Horizonts von 18 bis 24 Monaten ist die Erhöhung der Vorhersage für 2009 von 2,1 auf 2,4 Prozent noch wichtiger. Trichet sagte, aufgrund der "Aufwärtsrisiken" für die Inflation sei die EZB in "erhöhter Alarmbereitschaft".

Was das Wachstum betrifft, sind die EZB-Volkswirte für den Euro-Raum vergleichsweise optimistisch. Für 2008 prognostizieren sie ein Plus von 1,8 Prozent, für 2009 gehen sie von 1,5 Prozent aus. Die Euro-Wirtschaft sei weiter in "solider" Verfassung, sagte Trichet.

Am Dienstag hatte bereits der Chef der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke, vor verschärften Inflationsrisiken gewarnt. Die Bank of England ließ ihren Zinssatz am Donnerstag trotz zunehmender Konjunkturrisiken bei 5,0 Prozent. Die Industrieländer-Organisation OECD hatte der Notenbank rasche Zinssenkungen empfohlen.

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